Die Schlange im Lichtenstein
Am Waldrande hütete ein Schäfer seine Schafe. Er saß im Baumschatten, während die Hunde die Herde bewachten. Da raschelte es neben ihm im Gebüsch, und hervor kroch eine bunte Schlange. Sie trug einen gelben Höcker auf dem Kopf, der fast wie ein Krönlein aussah. Mit ihren klugen Augen sah die Schlange den Schäfer an, der verwirrt das Tier betrachtete. Aber wie erstaunte er noch mehr, als die Schlange plötzlich zu sprechen begann.
Sie ringelte sich zusammen, wiegte den Kopf hin und her und sprach: "Darf ich dich um einen großen Gefallen bitten?" "Lass hören!", antwortete der Schäfer, "wenn ich es kann, will ich dir wohl helfen." "So küsse mich!" erwiderte die Schlange. Der Schäfer schüttelte sich. "Nein, das kannst du nicht von mir verlangen. Du willst mich wohl mit deinem Giftzahn beißen." Die Schlange antwortete nicht. Sie sah ihn traurig an. Ja, es schien dem Hirten, als ob sie Tränen in den Augen habe. Da er ein gutmütiges Herz hatte, entschloss er sich kurz: "Komm her", sagte er, "ich will es tun und will dir vertrauen."
Blitzschnell ringelte sich die Schlange an ihm empor. Er schloss die Augen und küsste sie. Da hörte er einen tiefen Atemzug. Er blickte auf und wollte seinen Augen nicht trauen. Vor ihm stand eine wunderhübsche Prinzessin. Sie lächelte ihm zu und sprach: "Du hast mich erlöst von schwarzem Zauber. Du sollst mein Gemahl werden. Morgen hole ich dich." Nachdenklich trieb der Hirt seine Herde heim. Am nächsten Tag kam eine goldene Kutsche ins Dorf. Der Hirt musste einsteigen. Man hat ihn nicht wieder gesehen.