Die Jungfrau im Herkerkenborn
Südöstlich von Dorste, am Fuße des Hagenberges, lag einst das Dorf Thomashagen. Da soll es nicht ganz geheuer sein. Mancher, der zu später Nachtzeit dort vorbei kam, hörte Wagenrollen, sah aber weder Wagen noch Pferde.Von dem Dorfe ist heute nichts mehr zu finden. Ein kleiner Born nur zeigt die Stelle, wo es gelegen hat.
Vor hundert und mehr Jahren lag ein Schäfer mit seinen Schafen am Hagenberge und hielt Mittagsrast. Er wartete auf seinen Jungen, der ihm das Mittagessen bringen sollte. Der kam fröhlich singend mit seinem Henkeltopf den Feldweg herauf. Beim Herkerkenborn wollte er noch schnell eine Steinkruke mit frischem Wasser für seinen Vater füllen. Aber der Ton blieb ihm vor Schreck im Hals stecken. Denn plötzlich schwebte aus dem Brunnen eine wunderschöne Jungfrau hervor. Die hielt einen Krug in der Hand und winkte dem Knaben. Indem sie auf seinen Krug deutete, fragte sie: "Vull oder nich?"
Vor Schreck ließ der Knabe seinen Krug fallen und rannte laut schreiend zu seinem Vater - dem er sein Erlebnis berichtete. Der Schäfer aber eilte, so schnell ihn seine Füße trugen, dem Born zu. Schon konnte er ihn sehen, da schlug die Uhr vom Kirchturm in Dorste 1 Uhr. Mit einem klagenden Laut versank die Jungfrau im Born. Hätte der Junge "vull" gesagt, so hätte ihm die Jungfrau eine Molle voll Gold geschenkt, denn er hätte sie erlöst - und sie hätte ihre Ruhe gefunden. Hätte er aber "nich" gesagt, so hätte er mit ihr in die Tiefe des Brunnens hinabmüssen.
Nur alle hundert Jahre erscheint die Jungfrau. Manche behaupten auch, sie habe einen Schweinekopf gehabt, aber das weiß ja niemand. Vielleicht sind die hundert Jahre herum, wenn du am Born vorbeikommst? Dann erschrick nicht, wenn sie dir erscheint. Du weißt ja nun, was du sagen musst.
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